Wie klingt ein Weidenstock? Wie liegt er in der Hand? Wie unterscheiden sich die großen von den kleinen Stäben? Die braunen von den grünen? Die alten von den jungen? Und wie werden sie zu einer Marionette, einem Walfischbauch oder Wald, wie zu einem Monster oder einer Peitsche? In „Harvest“ geht es um Achtsamkeit. Darum, wie man mit Natur arbeitet, sie nutzbar macht und ihr dabei respektvoll gegenübertritt. Mit Poesie und Leichtigkeit erkundet das Ensemble das Verhältnis von Mensch und Natur – aber auch den Klangkosmos der Weiden, die den Rhythmus für die Ernte und den Tanz erzeugen.
Isabelle Schad studierte klassischen Tanz in Stuttgart und tanzte für viele Choreograf*innen. Ihre Arbeiten befinden sich an der Schnittstelle zwischen Tanz, Performance und Bildender Kunst und wurden unter anderem bei ImPulsTanz Wien, Tanz im August, International Arts Festival Beijing, Biennale Tanz Venedig gezeigt. Im Rahmen von Deutscher Tanzpreis 2019 erhielt sie eine Ehrung für herausragende künstlerische Entwicklungen im zeitgenössischen Tanz.
Mehr Informationen zur Inszenierung findet ihr hier.
Nach allen Vorstellungen finden direkt im Anschluss mehrere Nachgespräche statt, die maximal 90 Minuten dauern. Die Aufteilung auf die Gespräche erfolgt vor Ort. Es gibt immer auch räumlich barrierefreie Angebote. Informationen zu den Moderator*innen findet Ihr hier.
Tanz / Co-Choreografie: Jan Lorys, Aya Toraiwa, Manuel Lindner
Regie / Choreografie / Bühne: Isabelle Schad
Musik / Live-Sound: Damir Simunovic
Licht / Künstlerische Assistenz: Emma Juliard, Arnaud Lesage
Dramaturgische Beratung jüngstes Publikum: Dagmar Domrös
Ernte der Weiden: Volker Hüdepohl
Organisatorische Mitarbeit: Heiko Schramm
Eine Auftragsarbeit von Theater o.N., produziert von der Offensive Tanz für junges Publikum Berlin, gefördert von TANZPAKT Stadt-Land-Bund und Berliner Senat für Kultur und Europa (Kofinanzierungsfonds). In Kooperation mit Wiesen55 e.V.
Weidenzweige, lang wie die Klauen eines Urzeittieres, klackern auf den Boden. Äste schrammen an der Wand, wo sie, angelehnt, wie die Rippen eines Wals aussehen. Leise rascheln Reisigbündel, die wie ins Feld geduckte Fabelwesen wirken. Abstrakt und doch sehr konkret ist, was die drei Tänzer*innen in Isabelle Schads „Harvest“ mit den rötlich-braunen Ästen eines Weidenbaums unternehmen. Tief einsinken kann man in den Strom wundersamer Bilder, die hier vorüberziehen und die ganzkörperlich wirken, in einen Trance-Zustand versetzen und zugleich die Wahrnehmung schärfen. Wie klingt es, wenn die Gerten aneinanderstoßen oder durch die Luft zischen? Sinnlich ist das Erleben, zu dem die jüngsten Zuschauer*innen hier eingeladen sind. Für Kinder ab 3 Jahren hat Isabelle Schad „Harvest“ entwickelt, im Rahmen des Berliner Modellprojekts Offensive Tanz für junges Publikum, das mit renommierten Choreograph*innen ein Repertoire erschafft. Isabelle Schad etwa schärft seit mehr als zwanzig Jahren ihre zeitgenössische „Praxis“, wie man im Tanz die Mischung aus Körperroutinen, Recherchen und intellektuellen Interessen nennt, die ein*e Choreograph*in pflegt. Bei Schad gehören dazu etwa Aikido-Übungen im Humboldthain, dem Park nahe ihrem Produktions- und Aufführungsort im Berliner Wedding, der Wiesenburg. Diese Übungspraxis erkennt man in „Harvest“ ebenso wieder wie das Interesse an Bildender Kunst, an Körpern und Objekten, die auf der Bühne zu Skulpturen in Bewegung werden. Für „Harvest“, zu deutsch Ernte, haben Isabelle Schad und ihr Team einen Weidenbaum neben der Wiesenburg abgeerntet, haben vom Reisig bis zum langen Ast alles gesammelt, gebündelt und zu ihrem künstlerischen Material gemacht. Zur Achtsamkeit ruft die installative Tanz-Meditation auf: zu Achtung für die Naturmaterialien und zu Aufmerksamkeit für das, was im Moment geschieht. Für Kinder, die ihre Umgebung erkunden, ist das eine vertraute Haltung. Wie aus ihrem Spiel Kunst wird, können sie in „Harvest“ erfahren.
Elena Philipp