Goethes Faust ist für viele Menschen der Inbegriff eines Theaterklassikers. Kaum einem Werk wurde so oft zugeschrieben, genial, tiefgründig und stets aktuell zu sein. Kaum jemand kommt ohne die Lektüre um den Gelehrten Faust und seinen Deal mit Mephisto durch den Deutschunterricht. Auf kaum einer deutschen Bühne wurde noch nicht die sogenannte »Gretchenfrage« gestellt und die gleichnamige junge Frau zur Mörderin ihres Kindes gemacht. Auf der Bühne des stellwerk hat des Pudels Kern sich vor 20 Jahren zuletzt offenbart. Es wurde also höchste Zeit, sich den absoluten All Time Favourite der Theatergeschichte wieder vorzuknöpfen und zu schauen, ob er den Fragen der Zeit und der Perspektive einer neuen Generation standhält.
So wie Faust sich mit dem Teufel einlässt, lässt sich ein Ensemble junger Menschen auf einen Deal mit Goethes Meisterwerk ein, wird von ihm verführt, belehrt und verraten. Die Bühne wird dabei zum multimedialen Studierzimmer. Von hier aus wird – ganz so wie Faust es auch tat – die Welt hinterfragt und überprüft, ob da noch etwas ist, was sie im Innersten zusammenhält. Getrieben von dem Bedürfnis, endlich zu verstehen, was Goethes Faust zu diesem mächtigen Klassiker macht, beginnt eine Aufführung zwischen Roadtrip und Sinnsuche samt Pudel, Hexen und der ganz großen Liebe.
Nachbereitungsworkshop nach der Vorstellung am 10.5. um 17 Uhr
Von und mit: Leonie Adam, Jonathan Frisch, Victoria Kerl, Emma Rauch, Philine Upmeier (Hannah Röbisch, Jonah Martensen, Melanie Hultsch)
Künstlerische Leitung: Till Wiebel
Bühne: Philipp Münnich, Till Wiebel
Kostümschneiderei: Anna Wiebel
Ton, Licht und Video: Agnes Weidenbach, Jannik Strohm, Philipp Münnich
Dramaturgische Begleitung und Theaterpädagogik: Louisa Grote
Produktionsassistenz: Florian Holter
Theaterleitung: Julia Heinrich und Stefanie Heiner
Wer in Weimar lebt, dem wird ganz regelmäßig ein neuer „Faust“ präsentiert. Etlichen Generationen von Schüler*innen haben dessen hochgestochenen Verse Kopfzerbrechen bereitet – noch immer ist es im Saarland, in Hessen und in Bayern Pflichtlektüre. Doch erst kürzlich wurde dem „Faust“ die Krise attestiert – immer weniger würde gespielt, was einst als Spielplan-Spitze der deutschen Theater galt. 20 Jahre nach der letzten Inszenierung dieses Klassikers des deutschen Literaturtheaters am Stellwerk Weimar e.V. wurde Regisseur, Dramaturg und Autor Till Wiebel mit einer Überschreibung beauftragt: die Orgelmusik, die mitunter auch den ein oder anderen Popsong zum Besten gibt, ließe sich dabei auch als Abgesang auf diesen Klassiker des deutschen Literaturtheaters verstehen. Und nie war Kanonkritik so unterhaltsam wie mit diesem jungen Ensemble, das sich auf der Bühne bereit erklärt, die Welt zu hinterfragen und zu überprüfen, ob da noch etwas ist, was sie im Innersten zusammenhält.
Was die Inszenierung zusammenhält, ist die überzeugende Verstrickung vom versgebundenen Drama auf der einen und performativen Spielanlässen auf der anderen Seite. Ich muss zugeben: mit diesen Klassikern habe ich selbst wenig Berührung, habe den „Faust“ und viele andere nie gelesen. Und trotzdem begreife ich, wie spielerisch und überzeugend sich hier Originaltexte, biografisches Material und spontane Improvisationsanlässe mischen: wo einerorts die Engel und der Teufel auf die Erde blicken, beobachten die Performer*innen das Publikum und spekulieren über deren Rechtschaffenheit, wo der Doktor Faust seine Studien rekapituliert, zählen die Performer*innen auf, was sie können und wissen, und so weiter. Wo andernorts solche Überschreibungen manchmal den Bezug zum Original vermissen lassen und sie einfach als bereits bekannt voraussetzen, wird die Auseinandersetzung kritisch, reflexiv und weitestgehend nachvollziehbar vorgeführt und humorvoll dekonstruiert. Diese Inszenierung ist bemerkenswert, weil jemand sagt, dass sie bemerkenswert ist, weil jemand sagt, dass sie bemerkenswert ist, weil jemand sagt, dass sie bemerkenswert ist. Diese Inszenierung wird in Weimar rauf und runter gespielt und ist schon jetzt, was die Vorlage immer war: ein Klassiker.
Thilo Grawe
Inhaltswarnungen: Es werden Sexismus, Klassismus, Machtmissbrauch, Krisen und Fremdbestimmung thematisiert. Es wird Rausch angedeutet.
Sensorische Reize: Es werden flackende Lichter angewendet (Stroboskop-Effekt). Es wird stellenweise Nebel und laute Orgelmusik eingesetzt.